Von Bernd Laquai
30.07.2014, Update 06.10.2018
Es ist schon interessant, dass man in den Listen über die Uranvorkommen auf der Welt, herausgegeben vom IAEA bzw. der OECD, gleich neben den ganz großen Uranlagerstätten wie z.B. Cigar Lake in Saskatchewan oder Olympic Dam in Australien das Örtchen Murrhardt im Schwäbischen Wald findet (ca. 50km nördlich von Stuttgart).
Allerdings kann man in der lokalen Presse lesen, dass das Element Uran in der sonst eher landwirtschaftlich geprägten Gegend schon nicht ganz so unbekannt ist. Hintergrund war nämlich vor kurzem der Ärger um die Novellierung der Trinkwasserverordnung aus dem Jahre 2011, die es erforderlich machte, dass an etlichen Stellen in Murrhardts Wasserwerken spezielle Uran-Filter eingebaut werden mussten, weil bestimmte Brunnen in der Gegend (z.B. nach Angaben der Organisation Foodwatch) bis zum Dreifachen der neuen Grenzwerte von max. 10μg Uran pro Liter enthielten. Zudem bescheinigt ein Forschungsbericht des Kernforschungszentrums Karlsruhe aus dem Jahre 1985 dem Örtchen Murrhardt auch noch erhöhte Radonmesswerte in der Luft im Freien, wie sie sonst eher im Schwarzwald auftreten. Es gibt daher tatsächlich Indizien, die für eine gewisse Präsenz des umstrittenen Elements in der idyllischen Natur des schwäbischen Waldes in der Gegend um Murrhardt sprechen.
Wenn man sehr gründlich nachforscht, kann man schließlich auch den wahren Grund grob erahnen. Im Jahre 1974 nämlich war die Gegend das Ziel von umfangreichen Uranprospektionsarbeiten einer damals neu gegründeten Firma mit dem eindeutigen Namen „Urangesellschaft“ mit Sitz in Frankfurt am Main. Eines der Ziele dieses von der Bundesregierung stark geförderten Unternehmens war damals, die Rohstoffversorgung für die Kernbrennstoff-Herstellung in Deutschland sicherzustellen. In der Zwischenzeit ist diese Firma Teil des französischen Nukleartechnik-Großkonzerns Areva. Auf Grund der derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Situation in Deutschland will sich heute in Murrhardt natürlich niemand mehr so recht an diese Zeit erinnern. Aber das Internet vergisst nichts so schnell, deswegen findet man doch noch so gewisse Anhaltspunkte für das Interesse dieser Gesellschaft an der Gegend um Murrhardt so zum Beispiel einen eindeutigen Artikel in der Zeitschrift „Die Zeit“.
Der Hintergrund für das Interesse der Uranprospektoren bestand in der geologischen Erkenntnis, dass das Sedimentgestein auch in der Gegend um Murrhardt ähnlich wie an den Hanglagen Stuttgarts einen gewissen Urangehalt hat, den man auch messtechnisch nicht allzu schwer nachweisen kann. Die Gegend um Murrhardt ist nämlich ebenfalls Teil des schwäbischen Schichtstufenland, genauer gesagt gehört sie zum sogenannten Keuperbergland. Der Keuper in dieser Gegend gliedert sich wiederum wie folgt:
Oberer Keuper (ko)
Rät
Mittlerer Keuper (km)
(km5) Knollenmergel
(km4) Stubensandstein
(km3) Obere und untere bunte Mergel, Kieselsandstein
(km2) Schilfsandstein
(km1) Gipskeuper
Unterer Keuper (ku)
Lettenkeuper
Der mittlere Keuper ist diejenige Gesteinsschicht, die im Bereich des Stuttgarter Talkessels bis über Murrhardt hinaus an der Oberfläche vorherrscht und die Böden prägt. Vor allem die mächtigen Sandsteinschichten sind typisch für die Gegend, von denen der feinsandige Schilfsandstein besonders häufig als Werkstein verwendet wurde, da man in ihn sehr leicht detailreiche Ornamente einarbeiten konnte, die heute noch an vielen älteren Hausfassaden sichtbar sind. Wesentlich für den Urangehalt dieser Böden ist die Tatsache, dass tonhaltige Sande mit den Wasserströmungen das gelöste Uran als sechswertiges Uranylion über weite Strecken transportiert haben (genauer gesagt aus dem Vindelizischen Land in der Urzeit). Sobald diese Gewässer in ein reduzierendes Milieu gelangten oder mit adsorbierenden oder ausfällenden Stoffen in Kontakt kamen, wurde das Uran wieder in eine 4-wertige Oxidationsstufe umgewandelt und dann ortsfest mit den sich über die Zeit verfestigenden Sand- und Ton-Sedimenten fixiert. Dies ist der Grund warum vor allem die tonhaltigen Sandsteine in der Gegend einen deutlich erhöhten Urangehalt aufweisen. Und dieser stand eben im Interesse der Uranprospektoren als noch fieberhaft in Deutschland nach Uran gesucht wurde. Wahrscheinlich war es schließlich die politische Bedeutung der prospektierenden Firma, die dafür sorgte, dass Murrhardt relativ schnell als aussichtsreiche Uranlagerstätte in die Datenbank der IAEA und OECD gelangte.
Offensichtlich aber war das eigentliche Ergebnis der Prospektionsarbeiten am Ende doch nicht ganz so üppig, so dass die Urangesellschaft schnell das Interesse an der Gegend verlor und sich eher um Ressourcen im Ausland kümmerte. Vermutlich ging damit auch der bittere Kelch an dem Städtchen Murrhardt recht schnell vorüber und Zustände, wie sie seinerzeit im Krunkelbachtal bei Menzenschwand vorherrschten, blieben der hiesigen Bevölkerung erspart.
Da sich die Halbwertszeit für den Zerfall von Uran aber doch über mehrere Milliarden Jahre hinzieht, kann der interessierte Wandersmann immer noch, mit einem guten Geigerzähler ausgestattet, auf den Wegen der Prospektoren wandeln und deren Ergebnisse einigermaßen originalgetreu nachmessen. Dazu bietet sich vor allem eine Wanderung durch die landschaftlich sehr schöne und geologisch hoch interessante Hörschbachschlucht mit ihren Wasserfällen an. Die messbaren Werte für die Ortsdosisleistung sind zwar dort nicht allzu hoch (der Flossenbürger Granit auf der Stuttgarter Königstraße erzeugt bessere Strahlungswerte) aber die Tatsache, dass man eine deutliche Veränderung erkennen kann vom Ort Murrhardt im Tal mit anfangs sehr niedrigen Werten und danach entlang der Schlucht mit zum oberen Drittel hin deutlich zunehmenden Werten und schließlich einem abrupten Abfallen am Hang oberhalb der Schlucht, das macht die Sache doch immer noch recht spannend. Da man auf dem Weg durch die Schlucht auch praktisch alle Gesteinsschichten des mittleren Keupers durchquert, was man an den Gesteinsabbrüchen an den Felswänden sehr schön beobachten kann, ist es möglich das Gesteinsprofil bzw. das Höhenprofil dem Strahlungsprofil zuzuordnen. Damit erkennt man schließlich, dass ein deutliches Maximum der Ortsdosisleistung im Übergangsbereich des Schilfsandsteins zu den unteren bunten Mergelschichten liegt.
Dieses Ergebnis unterstreicht schließlich auch den Befund aus der Landeshauptstadt Stuttgart, wo man einerseits ein gewisses Radonproblem auf den Sandsteinböden des Killesberg entdeckt hat und anderseits eine deutliche Erhöhung der Ortsdosisleistung im Bereich des alten Schilfsandsteinbruchs der Karlshöhe erkennen kann.
Damit steht nun endgültig fest, dass es im Keuperbergland um Stuttgart einen erhöhten Gehalt an Radionukliden im Gestein aufweist und man darf gespannt sein, was die Tunnelbohrungen des Bahnprojekts „Stuttgart 21“ diesbezüglich noch ans Tageslicht bringen werden. Das radioaktive Gas Radon könnte jedenfalls dabei sein. Und damit könnte es dann vielleicht sogar die Landeshauptstadt Stuttgart noch schaffen in die berühmte Liste der stolzen Uranlagerstätten zu gelangen.